
Die Karte „Der Turm“ trägt im Rider-Waite-Tarot die Zahl XVI. Nach den Fesseln des Teufels (XV) bringt sie den plötzlichen, schmerzhaften Befreiungsschlag. Die 16 gilt in vielen Traditionen als Zahl der göttlichen Vollkommenheit: Im Hinduismus etwa symbolisieren die 16 Strahlen des Vishnu besondere Kräfte. Doch göttliche Ordnung erscheint nicht immer als sanfte Harmonie – manchmal bricht sie wie ein Blitz herein. Der Turm ist dieses göttliche Eingreifen: zerstörerisch, doch notwendig.
Symbolsprache: Ein hoher Turm wird von einem Blitz getroffen. Flammen schlagen aus den Fenstern, eine Krone stürzt vom Dach, zwei Menschen fallen kopfüber in die Tiefe. Dunkler Himmel, Chaos, doch auch das befreiende Feuer.
Sternenbach-Analyse – Der Turm Bedeutung im Tarot
Bildbeschau
Der Turm ist fest gebaut, aus Stein – Symbol für Strukturen, die starr und unflexibel geworden sind. Der Blitz aus dem Himmel reißt ihn auseinander, ein Hinweis auf göttliches Eingreifen, das keine Lüge und keine falsche Sicherheit duldet. Die Krone, die herabfällt, symbolisiert den Verlust menschlicher Hybris, Stolz oder Macht, die sich über das Leben erheben wollte. Die beiden Gestalten, die stürzen, sind nicht klar identifiziert: Sie stehen für uns alle – niemand bleibt verschont. Doch das Feuer reinigt: Es verbrennt, was nicht mehr Bestand hat.
Kontextualisierung
Im Tarot de Marseille heißt diese Karte „La Maison Dieu“ – das „Haus Gottes“. Schon dort war der Bezug zum göttlichen Blitzschlag erkennbar, wenngleich oft als Katastrophe verstanden. Arthur Edward Waite und Pamela Colman Smith gaben der Karte im Rider-Waite eine besonders dramatische Dynamik: Feuer, Blitz und stürzende Figuren. Im Thoth-Tarot Crowleys trägt sie den Titel „The Tower“ und wird mit Mars verbunden – zerstörerische, aber auch schöpferische Energie. Im historischen Tarot ist der Turm so stets eine Karte der Katastrophe – doch zugleich der Reinigung und Neuordnung.
Die Zahl 16
Die 16 verbindet die göttliche 1 (Ursprung, Wille) mit der 6 (Harmonie, Verantwortung). Zusammen entsteht ein Bild des göttlichen Eingreifens in menschliche Ordnungen. In hinduistischer Tradition sind die 16 Strahlen Vishnus Ausdruck höchster Kraft – eine Erinnerung, dass Vollkommenheit auch zerstörerisch wirken kann, wenn sie das Unwahre aufbricht. Die göttliche Ordnung zeigt sich im Turm nicht als Trost, sondern als radikaler Umbruch.
Schlüsselbegriffe
- Zerstörung & Befreiung: Was zerfällt, macht Platz für Neues.
- Schmerz & Reinigung: Der Umbruch tut weh, führt aber zur Klärung.
- Göttliches Eingreifen & Hybris: Menschliche Selbstüberhöhung wird vom Blitz der Wahrheit getroffen.
Die Heldenreise
In der Heldenreise markiert der Turm den tiefsten Umbruch, den Punkt, an dem der Held wirklich „geboren“ wird. Nach der Gefangenschaft beim Teufel sprengen Blitz und Feuer die Ketten. Doch die Befreiung ist hart erkauft: Der Held verliert Sicherheiten, Rollen, Masken. Der Sturz aus dem Turm ist schmerzhaft – aber notwendig, um im Stern (XVII) eine neue, klare Orientierung zu finden. Der Turm ist damit der Wendepunkt, an dem Krise zur Initiation wird.
Praxis-Transfer
- Reflexionsfrage: Welche Strukturen oder Sicherheiten in deinem Leben brechen gerade zusammen – und könnten sie vielleicht den Raum für etwas Befreiendes öffnen?
- Alltagsaufgabe: Denke an eine schmerzhafte Erfahrung in deinem Leben, die erst im Nachhinein zu einer positiven Veränderung geführt hat. Notiere, welche „versteckte Befreiung“ auch in aktuellen Umbrüchen liegen könnte.
Zusammenfassung
Der Turm im Rider-Waite-Tarot ist die Karte des plötzlichen Umbruchs, der schmerzhaften Befreiung. Seine Zahl 16 verweist auf göttliche Vollkommenheit, die sich nicht immer sanft, sondern oft zerstörerisch offenbart.
Wie der Tod ist auch der Turm negativ belegt – doch er ist nicht Ende, sondern Übergang: ein Befreiungsschlag, der den Weg zum Stern und zur Erneuerung öffnet. In der Heldenreise ist er der Moment der Transformation, an dem der Held in der Krise zu sich selbst findet.