
Die Karte „Die Kraft“ trägt im Rider-Waite-Tarot die Zahl VIII. Während im Marseille-Tarot an dieser Stelle die Gerechtigkeit stand, entschied Arthur Edward Waite, die Reihenfolge zu ändern: Die Kraft wurde zur 8, die Gerechtigkeit zur 11. Diese Umstellung ist kein Zufall – die 8 verweist auf Gleichgewicht, Balance und das Fließen unendlicher Energie. Sie zeigt, dass wahre Stärke nicht in Gewalt liegt, sondern in der Harmonie zwischen Gegensätzen.
Symbolsprache: Eine Frau in weißem Kleid neigt sich sanft über einen Löwen und schließt ihm das Maul, nicht mit Zwang, sondern mit ruhiger Zuwendung. Über ihrem Kopf schwebt das Lemniskaten-Symbol (∞), Sinnbild unendlicher Energie und geistiger Führung. Im Hintergrund eine ruhige Landschaft – Natur, die gezähmt und zugleich in ihrer Kraft belassen wird.
Sternenbach-Analyse – Die Kraft – Bedeutung im Tarot
Bildbeschau
Die Frau wirkt friedlich, beinahe entrückt, in einem weißen Kleid (Reinheit, Unschuld). Ihre Gestik ist nicht aggressiv: Mit beiden Händen berührt sie den Löwen, doch ohne Druck – ein Bild für innere Gelassenheit. Der Löwe steht für Instinkt, Triebkraft, Leidenschaft, manchmal auch Zorn oder Angst. Dass er sich von der Frau besänftigen lässt, symbolisiert die Überlegenheit sanfter Stärke. Das Lemniskaten-Symbol über ihrem Haupt knüpft an die Zahl 8 an: unendlicher Kreislauf, Balance von Kräften. Die Landschaft im Hintergrund ist ruhig, was auf das innere Gleichgewicht verweist, das aus der Beherrschung der Leidenschaften entsteht.
Kontextualisierung
Im Tarot de Marseille war diese Karte die XI – „La Force“. Erst im Rider-Waite-Tarot erhielt sie die Zahl VIII, um die symbolische Verbindung mit der Lemniskate (∞) zu verstärken. Waite wollte damit betonen, dass Kraft weniger mit physischer Gewalt, sondern mit seelisch-geistiger Stärke zu tun hat. Pamela Colman Smiths Illustration zeigt dies eindrücklich: nicht Heldentum im Kampf, sondern liebevolle Beherrschung. Im Thoth-Tarot Crowleys trägt die Karte den Namen „Lust“ (XI) und betont stärker den ekstatischen, triebhaften Aspekt – doch im historischen Tarot bleibt die „Kraft“ ein archetypisches Bild für die Balance zwischen Instinkt und Bewusstsein.
Schlüsselbegriffe
- Stärke & Sanftmut: Wahre Kraft liegt in innerer Ruhe, nicht in Gewalt.
- Trieb & Bewusstsein: Der Löwe als Symbol der Leidenschaften, die Frau als Verkörperung des Geistes.
- Unendlichkeit & Balance: Die Zahl 8 und das Lemniskaten-Symbol stehen für Gleichgewicht in Bewegung.
Die Kraft ist somit die Karte des „gezähmten Löwen“ – Sinnbild für ein Erwachsenwerden, das nicht durch Unterdrückung, sondern durch Integration geschieht.
Praxis-Transfer
- Reflexionsfrage: Welche deiner Leidenschaften oder Impulse brauchen nicht Unterdrückung, sondern eine sanfte Lenkung?
- Alltagsaufgabe: Begegne einer stressvollen Situation bewusst mit Gelassenheit: Atme tief durch, bevor du reagierst, und betrachte, wie sich deine Haltung auf die Situation auswirkt.
Zusammenfassung
Die Kraft im Rider-Waite-Tarot ist die Karte der inneren Stärke. Ihre Zahl 8 verweist auf Balance, Unendlichkeit und die Harmonie von Gegensätzen. Die Frau und der Löwe zeigen: Wahre Kraft liegt nicht in Zwang oder Gewalt, sondern in Sanftmut, Bewusstsein und Vertrauen.
Als Karte erinnert sie daran, dass wir unsere inneren Kräfte nicht bekämpfen müssen, sondern sie liebevoll annehmen und integrieren können. Erst wenn Trieb und Geist im Gleichgewicht sind, entsteht die Kraft, die uns wirklich trägt.